Von 1951 bis 1967 haben österreichische Rodler die Rodel-Europameisterschaften bei den Doppelsitzern dominiert und siebzehn Jahre lang die Sieger, fünf Mal sogar das komplette Podest gestellt. Die Absamer Willi Laimgruber und Josef Unterfrauner siegten 1956 in Imst und waren die ersten Rodel-Europameister des RV Swarovski-Halltal-Absam. Eine Tradition, die im Jahre 2010 in Sigulda durch Linger/Linger und 2012 im russischen Paramonowo durch Penz/Fischler erfolgreich fortgeführt wurde.
Im Vorfeld der Europameisterschaften am kommenden Wochenende in Lillehammer haben wir den 85-jährigen Josef Unterfrauner in Absam getroffen und uns mit ihm über die damalige Zeit unterhalten, als er vor 64 Jahren, am 29. Jänner 1956 in Imst - zusammen mit seinem Partner Willi Laimgruber – Rodel-Europameister im Doppelsitzer werden konnte.
Josef – das Absamer Urgewächs
Josef Unterfrauner, der Kassn Pepp, lebt mit seiner Frau Annelies zurückgezogen in der Absamer Riccabonastraße. Das Gehen fällt ihm schwer, sitzt er aber einmal am Küchentisch und kommt über seine Rodelvergangenheit ins Erzählen, erkennt man sehr schnell sein großes Herz für den Rodelsport. Aufgewachsen ist er in Absam, wo er auch seine ersten Rodelerfahrungen am Melanser Bichl gesammelt hat. Im Jahre 1946 hat der damals 12-jährige Pepp an einem Schülerrennen teilgenommen und sich den Rodelvirus eingefangen. Einen Virus, der ihn siebzehn Jahre, bis zu den Olympischen Winterspielen in Innsbruck 1964, als aktiven Rodler nicht mehr loslassen sollte. Sein letztes Rennen waren die Ausscheidungswettkämpfe für die Winterspiele, als er es noch einmal wissen wollte. Zwar war er im Training immer unter den besten Fünf, gereicht hat es aber schlussendlich doch nicht, bei den ersten olympischen Rodelwettbewerben dabei zu sein.
Vom ersten Renn-Sieg zum Österreichischen Meister in zwei Jahren
Am 11. Jänner 1948, also zwei Jahre nach seinem Schülerrennen, hat der kleine Pepp sein erstes offizielles Rennen, das Christophorus Rennen in Inzing bestritten und sensationell gewonnen. „Eigentlich hätte ich mit meinen 13 Jahren gar nicht teilnehmen dürfen, doch zum Glück haben sie das Alter nicht kontrolliert“, erinnert er sich noch heute gerne an sein erstes Podest-Erlebnis. Und der Chronist vom RV Halltal-Absam vermerkte im Protokollbuch: „Ungünstige Schneeverhältnisse machten eine Verlegung zum Weilerhof notwendig. Bei sehr vereister Bahn und schwierigen Haarnadelkurven konnten unsere Fahrer gute Zeiten herausfahren. Bei der Jugend belegte Unterfrauner, Josef den ersten Platz mit der sehr guten Zeit von 4:27 Minuten“.
Und dann sein erster großer Titel bei den Österreichischen Meisterschaften am 29. Jänner 1950 im Liezen/Steiermark: Pepp wurde Österreichischer Jugendmeister. Es sollte sein einziger nationaler Einzel-Titel bleiben, da er sich mehr und mehr dem Doppel zuwandte und prompt ein Jahr später am Semmering - zusammen mit seinem Partner Willi Laimgruber - Österreichischer Meister im Doppelsitzer wurde.
Spezialist für Doppelsitzer
Nach seinem Erfolg am Semmering hat sich Pepp Unterfrauner zu einem wahren Doppelsitzer-Experten entwickelt. Heute würde man sagen, dass er mit jedem guten Rodler seiner Zeit auf dem Schlitten saß. Ob mit dem Feistmantl Richard, Karl, Ernst oder sogar mit dem Feistmantl „Jos“ Josef. Sein Lieblingspartner war allerdings der Laimgruber Willi, mit dem er Österreichischer- und Europameister geworden ist. „Meistens war ich Beifahrer, nur bei den Vereinsmeisterschaften bin ich immer vorne gesessen“, beschreibt er seine Vorgehensweise. Er war einfach ein guter Doppelfahrer, jeder hat ihn aufsitzen lassen, im wahrsten Sinne des Wortes, da sie damals noch im Sitzen gerodelt sind und sich die aerodynamische Frage, wer hinten oder vorne sitzt, so nicht stellte. Tatsächlich ist Pepp Unterfrauner in den 1950er Jahren fünf Mal hintereinander Vereinsmeister geworden.
1956: Rodel-Europameister im Doppel
Es war der 29. Jänner 1956 in Imst. „Der ganze Jänner war etwa so warm wie aktuell dieses Jahr“, erinnert sich Pepp Unterfrauner. In Imst wurde eine Rodelbahn gebaut mit aufgestellten Wänden fast bis zum Dorf hinunter. Leider gab es keinen Schnee und keine Kälte zum Vereisen. Somit wurde die Rodelbahn bis zur Alm hinauf verlegt, wo dann auch noch ein/zwei Wände aufgestellt wurden. Alles andere war dort oben Natur. „Da die Europameisterschaft am Ende einer Wärmeperiode stattfand, waren die Verhältnisse natürlich grenzwertig, zumal es am Tag der Entscheidung auch noch heftig zu schneien begann. Aber trotzdem haben wir, mein Freund Willi Laimgruber und ich es geschafft, die Schnellsten zu sein“. Und auch in der Chronik des Rodelvereins Halltal Absam ist zu lesen: „Bei den Europameisterschaften 1956 in Imst konnte erstmals in der Geschichte des Halltaler Rodelvereins ein Europameister-Titel errungen werden. Die mehrfachen Bundes- und Landesmeister im Doppelsitzer Laimgruber Willi/Unterfrauner Josef wurden Europameister 1956 im Doppelsitzer“.
Die Frage des Materials – welche Rodel ist die beste?
Damals und heute, die Parallelen sind erschreckend. Schon damals hing im Rodeln alles von drei Faktoren ab: Dem Wetter, dem Material und vom Menschen. Damals steckte der Rennrodel-Bau allerdings noch in den Kinderschuhen. Zunächst fuhren alle noch mit den Berger-Rodeln, bis die ersten Tietze-Rodeln auftauchten. Eine Revolution, die die Weissnicht Brüder aus Absam nachbauten, sie perfektionierten und so die Weissnicht-Rodel entstand. Damals der Mercedes unter den Rodeln, vor allen Dingen weil sie verstellbar gebaut war. „Gewonnen haben der Willi und ich sowohl die Österreichische Meisterschaft als auch die Europameisterschaft auf einer Weissnicht-Rodel“; erinnert sich Pepp Unterfrauner sehr gern an seine erste Weissnicht-Rodel. Eine Zeit, in der die Absamer Rodler, ob Damen oder Herren fast nicht zu schlagen waren. Denn sie hatten einfach das bessere Material. Außerdem sind die meisten „reinen“ Rodelvereine erst Anfang der 1950er Jahre entstanden.
Von der Weissnicht-Rodel zur Gasser-Rodel
Mit der Weissnicht-Rodel waren die Absamer Rodler also überlegen, bis dann eines Tages die Gasser-Rodeln auftauchten. Die Weissnicht-Rodel war zwar gut auf Naturbahnen, aber die Gasser-Rodel war ihr auf Kunstbahnen überlegen. So waren Willi Laimgruber und Sepp Unterfrauner bei einem Wettbewerb nach Garmisch gefahren und staunten nicht schlecht über die Überlegenheit der Gasser-Rodel. „Wir mussten leider mit ansehen, wie wir mit unserer Weissnicht-Rodel gerade noch ins Ziel kamen und die anderen selbst noch die Kurve nach dem Zielauslauf brauchten, um zum Stehen zu kommen“, erinnert sich Pepp Unterfrauner. „Daraufhin hat der Willi entnervt zusammengepackt und ist mit dem nächsten Zug nach Hause gefahren“. Doch die Geschichte hatte trotzdem ein gutes Ende, da ein Rodler seine Gasser-Rodel gegen die Weissnicht-Rodel von Pepp tauschen wollte und dieser natürlich bereitwillig einwilligte.
Und aus noch einem anderen Grund ist die Kunstbahn in Garmisch-Partenkirchen Pepp Unterfrauner mit großem Respekt in Erinnerung geblieben. Damals wurden aus dem gefrorenen Eis des Rießersees Blöcke geschnitten, wie es auch in der Schweiz üblich ist, mit denen dann die Kunstbahn gebaut wurde. Eine kurvenreiche Bahn, auf der man mit bis zu 120 Kilometern pro Stunde ins Tal rast. „Auf dieser Bahn bin ich damals mit dem Richard Feistmantl gefahren. Als wir sie das erste Mal sahen, wollten wir sofort wieder nach Hause fahren. Da gab es Kurven, die waren bis zu neun Meter hoch! Jedenfalls war das meine erste Kunstbahn-Erfahrung“.
Eine weitere Entwicklung, die allerdings erst nach der Zeit von Pepp Unterfrauner immer bedeutender wurde, war das Aushöhlen der Schienen, sodass heißes Öl eingefüllt werden konnte. „1964 nach den Olympischen Spielen in Innsbruck hat es begonnen“, erinnert sich Pepp Unterfrauner. „Ich war froh, nicht mehr dabei zu sein“! Einige Jahre später, 1968 in Grenoble sprach man nur noch von der „Lötlampen-Olympiade“, da besonders die Ostdeutschen ihre Schienen mit Lötlampen erhitzten, um sie zu erwärmen.
Rodelbahnbau im Experimentalversuch
Doch nicht nur die Rodel-Technik, sondern auch der Bau der Rodelbahnen befand sich im Umbruch. So hat man angefangen, die Rodelbahnen mit hohen Wänden zu sichern. Wie auch in Villach, den Wurzenpass hinunter. Hier wurden riesige Wände aufgestellt, was so nicht notwendig gewesen wäre, hätte man nur oben ein Brett angebracht, wie es heute üblicherweise geschieht. Ohne Brett sind viele Rodler über die Wand hinausgeschossen. So gab es in den 1950er und 1960er Jahren bei zum Teil schweren Stürzen viele Verletzte. „Auch mich hat es einmal am Bettelwurfeck erwischt“, erinnert sich Pepp Unterfrauner. „Ich war mit einem Kollegen auf dem Weg, bei allerdings wenig Schnee. Wir wollten das Bettelwurfeck im Halltal ohne Bremsen fahren. Jedenfalls weiß ich nicht mehr, was wirklich passiert ist, aber irgendwie bin ich 20 Meter unterhalb des Bettelwurfecks im Weissenbach wieder aufgewacht. Wundersamer Weise habe ich keine Verletzungen davongetragen. Nur meine Rodel war weg“.
Rudimentäre Zeitnahme der 1950er Jahre
Nicht nur der Rodelbau, auch die Zeitnahme steckte damals noch in den Kinderschuhen. So erinnert sich Pepp Unterfrauner an „seine“ Europameisterschaften in Imst, als sein österreichischer Kollege Hans Krausner nach drei Läufen überlegen führte, die Bahn immer schlechter wurde und in seinem vierten Lauf die Zeitnahme nicht ausgelöst hatte. Also hat er noch einmal fahren müssen, kam fast als Letzter an die Reihe und hatte keine Chance mehr aufgrund der Bahnverhältnisse. So ist damals Josef Isser Europameister geworden. Es war eben alles noch ein bisschen einfacher, zumal es auch noch keine elektronische Zeitmessung gab. „Zum Teil ist sogar um die Zeit gestritten worden. Manche sind auf den Misthaufen gefahren und sind trotzdem Erste geworden. So wie es dem Karl Feistmantl mit seinem Beifahrer 1950 in der Steiermark passierte. Nach heißen Diskussionen wurde das Rennen annulliert und auf das nächste Jahr verschoben“. Anekdoten, die das Leben schrieb, sich aber nicht mehr endgültig nachprüfen lassen…
Noch ein Wort zum Schluss
Fragt man den Pepp Unterfrauner, wen er für den besten Rodler seiner Zeit hält, antwortet er ohne zu zögern: Josef „Jos“ Feistmantl. „Mit ihm bin ich 1959 Österreichischer Meister im Doppel geworden. Er war einfach ein Rodelgenie! Er und der Paul Aste. Wann immer Jos zum Rennen gekommen ist, ist er einmal die Bahn abgefahren, um dann ins Rennen zu starten. Normalerweise in Bestzeit. Wir alle haben ihn immer um Tipps gebeten und haben versucht, seinen Fahrstil zu kopieren“.