Viel ist über unseren Jos Feistmantl schon zu Lebzeiten geschrieben worden, der uns als feiner Mensch und Rodelgenie so viele schöne Momente geschenkt hat. Und doch haben wir aktuell Anlass, uns an unseren Jos zu erinnern: er wäre am 23. Februar 81 Jahre alt geworden, am 10. März jährt sich zum ersten Mal sein Todestag und - vor dem Hintergrund der Rodel WM in Sochi - er war in unserem Rodelverein der erste und einzige Rodelweltmeister bei den Herren Einsitzer.
Wir wollen uns erinnern, an einen großen, untadeligen Sportsmann, Weltmeister und Olympiasieger oder aber für uns Absamer, ein wenig kleiner und bodenständiger: An einen von uns, der unserem Rodelverein immer die Treue gehalten und der uns besonders in den 1960er und 1970er Jahren mit so vielen schönen Erfolgen, so große Freude bereitet hat.
Hot Spot in der Absamer Salzbergstraße
Wir beamen uns zurück in die 1950er Jahre nach Absam. Zurück in ein Gasthaus in der Salzbergstraße 65, mit dem herrschaftlichen Namen Halltaler Hof. Hier „residierte“ die kinderreiche Familie Feistmantl. Papa Karl und Mama Anna, Gastwirte des Halltaler Hofs mit den Kindern Karl jun.(1927), Ernst (1931), Martha (1934), Richard (1936), „Jos“ Josef (1939) und Gerda (1945). Papa Feistmantl war von 1947-1949 Obmann unseres Rodelvereins mit großem Herzen für den Rodelsport. Sein Sohn Karl jun. folgte ihm als Obmann, fünf Jahre später von 1954-1959. Damals hatte der Rodelverein kein Vereinsheim, aber ein Nebenzimmer im Halltaler Hof. Eine Zirbenstube, die als Vereinslokal – im wahrsten Sinne des Wortes – diente. Hier fanden zur damaligen Zeit alle Hauptversammlungen und außerordentlichen Sitzungen des Vereins statt, hier wurden praktisch alle Vereins-Entscheidungen getroffen, zumal es auch die eingetragene Vereinsadresse war. Heute würde man sagen, hier befand sich der Schmelztiegel und „Hot Spot“ des Rodelsports, wo alle Fäden zusammenliefen. Wer hier lebte, Feistmantl hieß und darüber hinaus auch noch einer der vier Söhne vom Halltaler-Hof-Wirt Karl sen. in der Salzbergstraße war, der war in den 1950er bis 1970er Jahren nicht nur ein echter Absamer, sondern auch ein erfolgreicher Rodler. Unterhält man sich heute mit der „kleinen“ Schwester Gerda Peskoller, dem jüngsten der sechs Kinder von Karl und Anna, wird schnell klar, was bei den Feistmantls wirklich wichtig war. „Schon von unserem Vater wurde uns das Rodeln in die Wiege gelegt“, erinnert sie sich. „Allein unsere Zirbenstube, mit dieser kleinen Baby-Rodel an der Wand, hat uns immer die Bedeutung des Rodelsports signalisiert“. So ist es nicht verwunderlich, dass alle vier Buben mit dem Rodeln angefangen haben und erfolgreiche Rodler wurden. „Rodeln stand auch schon deswegen bei uns im Mittelpunkt, weil es ja sonst im Winter nichts gab“, erinnert sich Gerda, „was hätten wir denn sonst in unserer Freizeit machen sollen“.
Doch nicht nur die Rodelbegeisterung der Familie hatte damals einen entscheidenden Einfluss. „Die Rodler aus dem Halltal sind auf ihrem Weg nach Hause – auf halber Strecke - meistens noch einmal bei uns im Halltaler Hof eingekehrt und haben ihre abenteuerlichen Rodel-Geschichten erzählt“, erinnert sich Gerda. „Und so kam eins zum anderen, was letztendlich zur Begeisterung meiner Brüder für den Rodelsport führte“. Und weiter: „Karl war erfolgreich, bis er sich einige Finger seiner Hand abgefroren hatte und deswegen nicht mehr wettbewerbsmäßig rodeln konnte. Richard hatte, als er bereits Tiroler Juniorenmeister geworden war, einen schweren Rodelunfall, sodass er nicht mehr rodeln wollte. Ja und unser Jos, der jüngste meiner Brüder, ist richtig durchgestartet und das Ergebnis ist bekannt“.
Fast unzählbare Erfolge beweisen sein Rodel-Genie
Jos Feistmantl‘s Rodel-Karriere begann praktisch 1954 bei den Jugend-Europameisterschaften in Davos. Als 15-Jähriger erreichte er den 4. Platz. Stand in Absam seine Rodel-Wiege, wurde ihm in Davos das Rennrodel-Gen eingepflanzt. Ein Gen, das ihn nicht nur zum erfolgreichsten Rodler des RV Swarovski-Halltal-Absam, sondern auch zum erfolgreichsten Athleten des Österreichischen Rodelverbandes werden ließ. So dominierte er praktisch in den 1960er Jahren die österreichische Rodelszene, wurde fünf Mal Österreichischer Meister im Einsitzer (1962, 1963, 1966, 1967, 1970) und vier Mal Österreichischer Meister im Doppel (1961, 1963, 1964, 1965). Darüber hinaus wurde er fünf Mal Tiroler Meister im Einsitzer und einmal Tiroler Meister im Doppelsitzer mit Willi Bichl.
Seine international größten Erfolge feierte er 1964 in Innsbruck mit dem Gewinn der Goldmedaille bei den Olympischen Spielen und 1969 am Königssee, als er sich den Weltmeistertitel bei den Herren Einsitzer sichern konnte. Zwei Silber- und drei Bronzemedaillen bei Weltmeisterschaften und einen ersten und einen zweiten Platz im Doppel bei Europameisterschaften komplettierten seine lange Erfolgs-Biografie. So war es nicht überraschend, dass er bis zu seinem Karriereende und darüber hinaus - eigentlich bis heute - das Aushängeschild unseres Vereins blieb.
Olympia 1964 – ein Meilenstein für ganz Tirol
Als am 29. Januar 1964 erstmals das olympische Feuer in Innsbruck entzündet wurde, ist den wenigsten klar, welche Bedeutung das für die damals beschauliche Stadt Innsbruck in Tirol und für Österreich haben sollte. Erstmals wurden Olympische Winterspiele weltweit im Fernsehen übertragen. 1.300 Journalisten berichteten rund um den Globus und über eine Million Zuschauer machten die Spiele in Tirol zum großen Publikumshit. Doch die wenigsten Zuschauer bei den Spielen dürfte der Doppelsitzer-Wettbewerb der Rodler gehabt haben.
Jos und sein olympisches Masterpiece
Es ist Mittwoch der 2. Februar, der fünfte Tag der Olympischen Winterspiele in Innsbruck. Tirol kämpft mit massiven Schneeproblemen, da sich der Winter von seiner milden Seite zeigt. Die Medien sprechen vom weißen Schneeband inmitten grüner Wiesen auf dem Innsbrucker Patscherkofel. Auch die erstmals ins olympische Programm aufgenommenen Rodelwettbewerbe stehen auf der Kippe. Obwohl das österreichische Bundesheer 20.000 Eisblöcke zu den Bob- und Rodelbahnen gebracht hatte, schwammen die Bob- und Rodelbahnen nach einem Föhneinbruch davon. Im Zielschuss stand zentimeterhoch das Wasser. So wird aufgrund der Wetterkapriolen der Doppelsitzer-Wettbewerb um einen Tag, auf den Mittwoch verschoben. Und besonders bemerkenswert: um den Teilnehmern faire Bedingungen gewähren zu können, wird das Rennen kurzfristig in aller Hergottsfrühe angesetzt.
Bereits um vier Uhr in der Früh werden die Rodler geweckt, dann geht es auf die Bahn. Die Verantwortlichen haben sich für diese ungewöhnliche Lösung entschieden, um der Wärme des Tages zu entkommen. Doch den Rodlern ist alles egal, sie wollen nur fahren. Um sieben Uhr findet noch im Dunkeln der erste Trainingslauf statt. Nur die Presse, die Trainer und ein paar Angehörige sind informiert. "Der Wettbewerb fand praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt", sollte sich Jos Feistmantl später noch erinnern. Doch unabhängig davon, sind Jos Feistmantl vorne und Manfred Stengl hinten auf dem Schlitten hellwach und fahren im ersten Lauf überraschend eine grandiose Bestzeit mit über einer halben Sekunde Vorsprung heraus. Damit wird der zweite Lauf eigentlich nur noch zur Formsache und die beiden sichern sich mit dreizehntel Sekunden Vorsprung gegen acht Uhr morgens ihre erste Goldmedaille.
"Ich hatte mir größere Chancen im Einsitzer ausgerechnet", meinte Jos Feistmantl nach den Olympischen Spielen, „doch gegen die deutschen Athleten war damals kein Kraut gewachsen“. Sein fünfter Platz im Einzelwettbewerb war ein Wermutstropfen, wenn auch nur ein kleiner, denn „ … Gold glänzt da wie dort…“. Und weiter: „… es war vom Gefühl her wohl das ungewöhnlichste Rennen meiner Karriere …“.
Zwei weitere Olympia-Teilnahmen in Grenoble und Sapporo
Bei den Winterspielen 1968 in Grenoble startete Jos Feistmantl ein zweites Mal olympisch, sowohl in der Einsitzer- wie auch in der Doppel-Konkurrenz. Für seine Verhältnisse und nach eigener Einschätzung wenig zufriedenstellend, erreichte er nur den fünften, respektive siebten Platz zusammen mit seinem Partner Josef Blechl. Parallel dazu hatte sich die Materialentwicklung zu jener Zeit in einer Art und Weise entwickelt, wie es nach heutiger Aussage vom Absamer Rodel-Kollegen und Europameister 1956 im Doppel, Pepp Unterfrauner nicht gerade zum Guten war: „In Grenoble sprach man nur noch von der „Lötlampen-Olympiade“, da besonders die Ostdeutschen ihre Schienen mit Lötlampen erhitzten, um sie zu erwärmen und damit schneller zu machen“.
Bei den Olympischen Winterspielen 1972 in Sapporo startete Jos Feistmantl noch einmal bei den Herren im Einsitzer-Wettbewerb, obwohl ihm schon vor den Spielen klar war, nach Sapporo von der Rodel zu steigen, zumal ein zehnter Platz in Sapporo nicht gerade seinen Ansprüchen gerecht wurde. Doch die Teilnahme war unserem Jos immer noch mehr wert, als der Vorschlag vom damals ausgeschlossenen Karl Schranz, der in Sapporo Anti-Brundage-Sticker verteilte und auf einen Boykott der Spiele von seinen Sport-Kameraden hoffte. Ein Glück für Jos, trotzdem gestartet zu sein, da er so, ohne es zu ahnen, wohl kaum ein viertes Mal bei Olympischen Spielen zum Einsatz gekommen wäre.
Das Entzünden des Olympischen Feuers 1976
Im Jahre 1976 spielte unserem Jos der Zufall in die Karten. Innsbruck sprang überraschend für Denver ein, die Olympischen Winterspiele ein zweites Mal auszutragen. Jos Feistmantl war auserkoren, zusammen mit Christl Haas, Abfahrtsolympiasiegerin von 1964, das Olympische Feuer zu entzünden. „Das war für mich der emotionalste Moment meines Lebens“, betonte Jos danach immer wieder". Und: „Das Entzünden des Feuers wurde nie geprobt. Sie haben uns nur gesagt, wir werden mit dem Auto hingebracht und müssen dann nur noch mit der Fackel die Stufen nach oben gehen und das Feuer entzünden“. So war der Plan. Doch in einem APA-Interview verriet er ein lange gehütetes Geheimnis: „Die original silberfarbene olympische Fackel hat nicht funktioniert. Kurz entschlossen schnappte ich mir die alte Pechfackel, mit der Josl Rieder 1964 das Feuer entzündet hat. Und keinem ist etwas aufgefallen“. Dann das nächste Problem: Den Organisatoren der Eröffnungsfeier rannte die Zeit davon, sodass Jos Feistmantl die Anweisung bekam, die 175 Stufen zu den Feuerschalen nach oben zu rennen. „Ich bin viel zu schnell gestartet und so ist mir bald die Luft ausgegangen. Das einzige, was ich noch gedacht habe war, ich muss da rauf. Als ich oben war, habe ich weiße Mäuse gesehen. Viel mitbekommen habe ich deswegen von der ganzen Atmosphäre nicht“.
Die tragischen Momente seiner Sportlerkarriere
Egal mit welchem Rodler man heute spricht. Sie alle erzählen übereinstimmend, wie gefährlich das Rodeln in den 1950er und 1960er Jahren war. Die Ausrüstung konnte mit den zunehmenden Geschwindigkeiten nicht standhalten. Die Bahnen ließen mit ihren Steilwänden hohe Geschwindigkeiten zu, die Rodeln wurden immer schneller und ohne Brett-Absicherung am oberen Ende schossen nicht wenige Rodler über diese Wände hinaus. So wie 1964 in Innsbruck bei den Olympischen Winterspielen, als es fast keinen Schnee gab, sich viele schon beim Training verletzten und die Ärzte in der Innsbrucker Klinik empfahlen, „mit dieser Narretei aufzuhören“. Und so kam was kommen musste: Die Olympische Premiere im Rodelsport begann mit einer Tragödie: Noch vor der Eröffnung der Spiele verunglückte Kazimierz Skrypecki bei einer Trainingsfahrt tödlich. Der in Polen geborene Brite fuhr über die Bande hinaus und schlug mit dem Kopf auf einer gefrorenen Wiese auf. Schon damals berichtete Jos von grenzwertigen Zuständen: "Bei einem Fahrfehler ist man aus der Bahn geflogen. Wenn dahinter ein Felsen lag, war es vorbei“. Und trotzdem. Jos und sein Salzburger Partner Manfred ließen sich nicht aus der Ruhe bringen und das Ende ist hinreichend bekannt.
Und dann die Rodel-Weltmeisterschaften 1969 am Königssee. Mit ihr sollte die revolutionäre, weltweit erste Kunsteisbahn eröffnet werden. Doch dann das Schreckliche: Während des zweiten Laufs wurde der Pole Stanislaw Paczka in einer Kurve aus der kombinierten Kunsteisbahn am Königssee getragen und erlag wenig später seinen schweren Verletzungen. Jos der unmittelbar nach dem Polen startete, wurde Weltmeister, widmete bei der Siegerehrung seinen Weltmeistertitel den Angehörigen und überreichte seine Goldmedaille den polnischen Mannschaftsführern. 20 Jahre später lud er auf eigene Kosten im Gedenken an Stanislaw Paczka eine polnische Delegation zur Europameisterschaft ein. Menschliche Gesten, die so berührend waren, dass Jos 1990 in Paris als bisher einziger Rodler mit dem Fair Play Preis des Internationalen Olympischen Comités ausgezeichnet wurde. 2005 wurde er in die Hall of Fame des Internationalen Rodelverbandes aufgenommen. Darüber hinaus erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, wie das goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich, des Österreichischen Rodelverbandes, des Tiroler Rodelverbandes und den Panathlon-Preis.
Einsatz für den Österreichischen Rodelverband
Jos Feistmantl war sicherlich ein begnadetes Rodelgenie, der nach seiner aktiven Karriere sein Wissen und seine Erfahrung im Österreichischen Rodelverband weiterreichte. Ob als sportlicher Leiter oder als Cheftrainer des Nationalteams. Seine Unterstützung hat den Rodlern immer sehr viel bedeutet. Seine akribische und innovative Arbeit war legendär. Heute können wir als Rodelfamilie von Glück sagen, dass seine Wiege im Halltaler Hof in Absam gestanden hat, wo er in seiner Familie früh mit dem Rodelsport in Verbindung kam und geprägt wurde. Dass der frühe Erfolg in Davos ihn als Jugendlichen anspornte, dem Rodelsport weiterhin treu zu bleiben. Und sicherlich auch, dass er von wirklich schweren Stürzen verschont geblieben ist. Josef „Jos“ Feistmantl, Tiroler Rodelgenie und wahre Sportlegende.